War es schön in der Schule? Katastrophen mit Klasse

 

Ja, es war ganz schön oft ziemlich schön in der Schule. Viele hören ja spätestens nach dem Abitur auf damit, aber Frau Bär hat durchgehalten bis zur Pensionierung.

Die besten Momente in ihrem Lehrerinnendasein erzählt sie gnadenlos ironisch, doch trotz allem mit einem liebevollen Blick auf ihre ehemaligen Kleinen.

Die Beiträge aus dem Tagebuch einer besorgten Mutter ergänzen diese Geschichten auf höchst amüsante Weise. 

 

 

Taschenbuch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-754146-33-0

Verkaufspreis: 8,99 €

Epubli Verlag

 

Leseprobe

Das Glück kommt nicht von ungefähr,

weiß Frau Bär.

Die Königsdisziplin in unserem Job ist es zweifellos, Klassenlehrerin einer ersten Klasse zu sein. Nie wieder sind die Kinder so niedlich, so neugierig und motiviert, lernen in kürzester Zeit so viel (124 Zeichen) und sind – so anstrengend. Da sitzt noch keine Klasse vor dir, sondern 27 Individuen, die ziemlich unterschiedlich, teilweise noch an irgendetwas nuckelnd, ihre neue Umgebung wahrnehmen.   

Für ihre vielfältigen Bedürfnisse ist nicht immer die nötige Impulskontrolle vorhanden.

Und von Ritualen und Regeln sind wir noch ganz weit entfernt.

Mitleidige Blicke treffen dich als Erstklasslehrerin in der krisengeschüttelten Zeit bis Weihnachten.

Wenn man mal zufällig Kolleginnen trifft, huschen sie, ein vorsichtig schüchternes Lächeln auf den Lippen an dir vorbei.

Das A und O eines effektiven Unterrichts ist die perfekte Planung. Die Kinder dürfen gar nicht ins Grübeln darüber geraten, was hier mit ihnen geschieht oder ob die täglichen Impfungen der Erwachsenen in der Vorschulzeit, wie: Schule ist schön, freust du dich schon darauf? der Realität entsprechen.

Also, Phasenwechsel im richtigen Augenblick, ausreichende Bewegungsmöglichkeit, gut vorbereitetes, ansprechendes Material in Reichweite, Spiel und Entspannung, soweit dies bei unseren beschränkten Räumlichkeiten möglich ist. Über personelle Ressourcen breite ich einen großen Mantel des Schweigens. Wir sind nach wie vor Einzelkämpfer! Und zurecht stolz auf unsere Erfolge, alle 27 Kinder werden am Ende dieses Schuljahres lesen, schreiben und rechnen können, komme da, was da wolle. Wozu über Personalmangel jammern?

Es geht doch.

So verschieden die Kinder auch sein mögen, eines ist allen gemeinsam.

Sie lieben ihre Lehrerin, würden alles für sie tun.  Eltern sind machtlos, wenn der Kleine sagt:

»Aber Frau Bär hat gesagt …«

Und ich bin machtlos, wenn sich beim Vorlesen ein bis zwei Kinder ganz selbstverständlich auf meinen Schoß setzen.

Egal mit welchen Unzulänglichkeiten sie noch zu kämpfen haben, sie sind bestrebt, alles richtig zu machen. (Eine Ausnahme bildet eine kleine, aber vielbeachtete Minderheit, die kreativ damit beschäftigt ist, alle anderen zu beeindrucken oder zu piesacken. Auch sie streben nach Anerkennung, haben jedoch bei der  Wahl  der  Mittel   in  den   falschen  Topf gegriffen.)

Gerne machen sie mir Geschenke.

So kommt an einem trüben Oktobermorgen während der Stillarbeit Samantha zu mir. Öffnet ihre kleine feuchte Faust und präsentiert mir mit einem stolzen Lächeln ein etwas derangiertes Gummibärchen:

»Für dich!«

Mein Verstand fragt: Ist dies das Mädchen, das soeben so herzhaft geniest hat? Mein Gefühl rät: Du musst es nehmen, sie wäre sonst enttäuscht.

Die Leute im Dschungelcamp müssen viel ekligere Sachen essen! Mein Mund sagt:

»Vielen Dank, im Moment nicht!«

Außerdem darf ich keine Sekunde verlieren, denn soeben hat der blond-gelockte Devil seinen gut gespitzten Bleistift in den Oberarm seiner Sitznachbarin gerammt, die laut aufheult.

Ich entreiße ihm die Waffe, schocke ihn mit dem Wort ‚Bleivergiftung‘ und nun heult auch er.

Alec steht plötzlich vor mir und hüpft angestrengt von einem Bein auf das andere:

»Frau Bär, ich muss gaanz dringend auf Klo!«

»Na, dann lauf mal schnell«,

rufe ich ihm hinterher, denn er ist schon an der Tür. 20 Sekunden später steht er schon wieder vor mir. »Was ist denn los?«, will ich wissen.

Er ist den Tränen nahe: »Ich krieg die Hose nicht auf!« Also hocke ich mich vor ihn hin und nestle an dem hakenförmigen Verschluss seiner Jeans, was wirklich eine Herausforderung ist, wenn der Bauch schon ein wenig darüber hängt. Verknotete Schnürsenkel entfesseln oder eingeklemmte Reißverschlüsse öffnen ist eine leichte Übung dagegen.

Die Klassenzimmertür steht weit offen und natürlich kommt in diesem Moment der Hausmeister vorbei, um die reparierte Uhr zu bringen. »Ach, es ist ja schon 10 Uhr«, rufe ich fröhlich und klatsche in die Hände: »Frühstück, Kinder! «

Alecs Hose lässt sich jetzt problemlos nach unten schieben und ich hoffe, dass er nicht darüber stolpert, als er zum zweiten Mal hinausstürzt.

Vor allem  hoffe  ich,  dass  er  es  noch rechtzeitig schafft. In seinen Augen schwammen schon kleine Fischlein.

Und zu guter Letzt bin ich froh, dass ich eine Frau bin. Da kommt man vermutlich nicht so schnell in den Verdacht pädophil zu sein?

Es geht alles gut, doch ist es keineswegs ungewöhnlich, dass Erstklässlern ein solches Malheur passiert.

Schnelle und diskrete Hilfe ist dann gefragt.

Im Sportbeutel befindet sich meistens eine geeignete Ersatzhose. Ist die Not groß, hilft auch ein Blick auf die beachtliche Sammlung von Fundstücken, die sich vor dem Hausmeisterbüro auftürmt. Tatsächlich befinden sich dort neben Mützen, Jacken und Handschuhen auch einzelne Schuhe, Ohrringe, Zahnspangen und sogar Hosen in allen Größen.

(Wie bitte kann man eine Hose verlieren? Und wie fühlt es sich an, mit nur einem Schuh nach Hause zu laufen?)

Allerdings erinnere ich mich noch gut an einen Zweitklässler, der aus dem Sportunterricht ziemlich verzweifelt und mit kurzer Turnhose (es war Februar) ins Klassenzimmer stürmte. »Meine Hose ist weg, ich habe überall gesucht!«, schluchzte Kristof. »Aber das kann doch nicht sein!«, rief ich. Ich schaute in viele betroffene Gesichter, die Sportlehrerin zuckte ratlos mit den Schultern.

»Wir haben wirklich überall nachgesehen, sogar in den Toiletten und Duschen.«

In der großen Pause konnte ich das hosenlose Kind nicht nach draußen schicken, doch fiel mir die merkwürdige Gangart seines besten Freundes Benedikts auf. Als ich genauer hinsah, stellte ich fest, dass seine Jeans viel zu kurz war und sprach ihn darauf an. Erst jetzt wurde Benedikt bewusst, dass dies nicht seine Jeans war. Er hatte sich auch schon gewundert, dass sie plötzlich so eng geworden war. Das Rätsel der verschwundenen Hose schien gelöst. Der sehr viel kleinere Kristof konnte sie eindeutig als seine identifizieren. Aber wo befand sich dann Benedikts Hose?

Da ich ihn inzwischen gut kannte, wusste ich, dass er öfter ein bisschen unorganisiert war und Dinge an Orten platzierte, auf die kein Mensch kommt.

In seinem Sportbeutel wurden wir fündig. Außer seiner Sportbekleidung befanden sich dort: Ein halbgelutschter Lolli, der lang gesuchte Deckel seines inzwischen ausgetrockneten Klebestifts, ein rosarotes Haargummi und seine Jeans, natürlich auf links gestülpt. Es musste ziemlich viel Kraft gekostet haben, das alles in den kleinen Beutel zu stopfen!

 

Ziemlich erschöpft erreiche ich heute in der großen Pause die sichere Insel Lehrerzimmer. Mitleidige Blicke. Schulterklopfen. Die mantramäßigen Beteuerungen: Nach Weihnachten wird es besser.

Wenigstens hat heute keiner geko…

 

Apropos. Zwar sind wir auf den Notfall ‚spontanes Erbrechen‘ bestens vorbereitet. Im hinteren Teil des Klassenzimmers befindet sich eine lilafarbene Box mit allerlei hygienischen Artikeln, dorthin kann ich also in so einem Fall ganz gelassen gehen, streife mir ein Paar elegante hautfarbene Einweghandschuhe über und mit einer Schaufel Katzenstreu ist der Schaden dann schnell behoben.

Jeder, der schon einmal mit Kindern zu tun hatte ahnt, dass gar nichts schnell behoben sein wird und an eine baldige Wiederaufnahme des regulären Unterrichts nicht zu denken ist.

Denn mitten im Raum steht ein kleiner unglücklicher Menschenspross, dem es gerade sehr schlecht geht.

Ja, es gibt auch mitleidige Klassenkameraden.

Die Mehrheit der Umstehenden schreit jedoch ohne einen Hauch von Empathie entweder »Iih! « und hält sich die Nase zu oder findet die Situation äußerst komisch, auch Spott und Häme lassen sich hier und da vernehmen. Also muss ich Prioritäten setzen.

Erstens: den kleinen unglücklichen Menschen trösten, ihn aus dieser unwürdigen Lage befreien und ihm versichern, dass alles wieder gut wird.

Zweitens: beim Hinausgehen mit dem kranken Kind energische Anweisungen für eine sinnvolle Beschäftigung aller Zurückbleibenden zu geben, nicht ohne den drei Empathielosesten mit zusammengekniffenen Augen und einer furchterregend erhobenen Augenbraue wüste Drohungen auszusprechen, falls sie sich nicht benehmen.

Wenn ich Glück habe, treffe ich in den steinigen Fluren des Schulhauses jemanden, der mir helfen kann, z. B. den Hausmeister. Falls nicht, leihe ich mir im Nachbarzimmer eine zuverlässige, freundliche Viertklässlerin aus, die meinen Unglückswurm im Arztzimmer beaufsichtigt, während ich schnellen Schrittes das Lehrerzimmer aufsuche, um die Notfallnummern nach erreichbaren Angehörigen durchzuprobieren. Tja, und wenn das erfolgreich war, flitze ich zurück zu meinen Schutzbefohlenen, freue mich darüber, wie ruhig und fleißig sie arbeiten und sorge mit Latexhandschuhen und Katzenstreu für eine saubere und geruchsfreie Lernatmosphäre.

Aber wie gesagt, zum Glück hat das alles heute nicht stattgefunden.

 

 Jemand klopft mir energisch auf den Rücken. Es ist Amy. Ich bin froh, dass sie von hinten kommt, die Klopfhöhe ihrer Patschhand ist auf der Vorderseite deutlich unangenehmer.

»Duhu, Frau Bär, weißt du wahas?« Ja, ich weiß genau, was auf solch eine Einleitung folgt.

Entweder: ‚Noch dreimal schlafen, dann habe ich Geburtstag‘ oder ‚Mein Hamster ist vorgestern gestorben‘.

Bevor ich noch ins Philosophieren darüber  gerate,  wie  nahe  doch Geburt und Tod beieinander liegen, sagt sie: »Morgen hat mein Meerschweinchen Geburtstag!«

»Herzlichen Glückwunsch«, ist alles, was mir spontan dazu einfällt. Smalltalk über Haustiere steht gerade nicht auf meinem Programm. Doch sage ich es nicht unfreundlich und Amy zieht strahlend von dannen. Es ist so einfach, Kinder glücklich zu machen. Da fällt mir doch wieder mein letzter Besuch beim ‘Chinesen‘ ein. Nach dem Essen, bei dem ich leider aufgrund meines begrenzten Magenvolumens nicht alle sieben Köstlichkeiten probieren konnte, entnahm ich seinem, mit bedeutungsvoller Miene überreichten, Glückskeks eine Botschaft, die sinngemäß lautete: Du bist auf der Welt, um andere Menschen glücklich zu machen.

Wie passend, dachte ich damals. Dafür hast du genau den richtigen Beruf. Und nahm mir fest vor, immer an diese keksummantelte Weisheit zu denken, vor allem in Situationen täglicher Bagatellkatastrophen, die absurder und irrwitziger nicht sein könnten.

Erstaunlich eigentlich, wie viele Ereignisse sich in so einem Klassenraum zeitgleich abspielen. Die geübte und erfahrene Lehrkraft hat natürlich alles im Blick, selbst wenn sie, die Tafel bekreidend, den Kindern ihren Rücken zuwendet. Bradley aus der zweiten Klasse zum Beispiel hat auch ohne Zigarettenkonsum bereits eine unverkennbar rauchig heisere Stimme, die trotzdem von keinem anderen Kind an Lautstärke übertroffen wird. Während ich also den Merksatz »Nach einem Punkt schreibe ich groß« zeitgeistgemäß in lateinischer oder verein-fachter Ausgangsschrift an die Tafel male, ermahne ich ihn nebenher und ohne mich umzudrehen: »Bradley!« Ich bemühe mich, es nicht so auszusprechen wie seine Eltern.

Als der Junge neu in die Klasse kam, stand er mit Mama, Papa und Rektor plötzlich vor der Tür. Dank meiner Flexibilität freute ich mich spontan über den Nachwuchs und fragte ihn freundlich nach seinem Namen. Mit der genuschelten Antwort konnte ich nicht so viel anfangen, doch die Mama half weiter: »Er heißt Brettle.«

Brettle?

Also: »Bradley!«, sage ich. »Setz dich an deinen Platz!« Jetzt erst wende ich mich wieder meinen Schülern zu und schaue in die ungläubigen Gesichter einiger Weniger, die bemerkt haben, dass Frau Bär auch im Hinterkopf Augen hat. Auch Brettle ist irritiert und geht zu seinem Tisch, von dem er sich, in der Annahme unbeobachtet zu sein, unerlaubt entfernt hatte.

Wieder in meiner ersten Klasse setzen die Kleinen ihre Arbeit an Stationen fort. Der Laut L (nicht El, sondern Ll gesprochen) wird dort begeistert und ausgiebig mit allen Sinnen erlernt. Alec schreibt ihn mit Hingabe in den Sand, der sich eigentlich in der flachen roten Schale befinden sollte. Es knirscht ein bisschen, als ich an ihm vorbeigehe.

Zum Glück bemerke ich noch rechtzeitig das Stück graubrauner Knete am Boden. Mein fragender Blick in die Runde ruft Devil auf den Plan. Schuldbewusst kratzt er die Knete mit den Fingernägeln weg. Nachdem er aus dem Vielfarbengemisch ein L geformt hatte, hatte er versucht, den Rest von seinem Platz aus in die dafür vorgesehene Dose zu werfen.

Emmi braucht Hilfe am Computer, irgendwie ist ihr Finger auf der Tastatur hängengeblieben, sodass sie sich bereits auf der Seite 40 des Dokumentes befindet. Die Seiten sind vollständig und tausendfach mit diesem Buchstaben bedeckt, und zwar ohne, dass sie jedes Mal die vorgeschriebene Leertaste bedient hatte.

Alles normal. Erstklassig, sozusagen!