Seitenzahl: 160 Seiten
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-754146-33-0
Verkaufspreis: 8,99 €
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Das Glück kommt nicht von ungefähr,
weiß Frau Bär.
Die Königsdisziplin in unserem Job ist es zweifellos, Klassenlehrerin einer ersten Klasse zu sein. Nie wieder sind die Kinder so niedlich, so neugierig und motiviert, lernen in kürzester Zeit so viel (124 Zeichen) und sind – so anstrengend. Da sitzt noch keine Klasse vor dir, sondern 27 Individuen, die ziemlich unterschiedlich, teilweise noch an irgendetwas nuckelnd, ihre neue Umgebung wahrnehmen.
Für ihre vielfältigen Bedürfnisse ist nicht immer die nötige Impulskontrolle vorhanden.
Und von Ritualen und Regeln sind wir noch ganz weit entfernt.
Mitleidige Blicke treffen dich als Erstklasslehrerin in der krisengeschüttelten Zeit bis Weihnachten.
Wenn man mal zufällig Kolleginnen trifft, huschen sie, ein vorsichtig schüchternes Lächeln auf den Lippen an dir vorbei.
Das A und O eines effektiven Unterrichts ist die perfekte Planung. Die Kinder dürfen gar nicht ins Grübeln darüber geraten, was hier mit ihnen geschieht oder ob die täglichen Impfungen der Erwachsenen in der Vorschulzeit, wie: Schule ist schön, freust du dich schon darauf? der Realität entsprechen.
Also, Phasenwechsel im richtigen Augenblick, ausreichende Bewegungsmöglichkeit, gut vorbereitetes, ansprechendes Material in Reichweite, Spiel und Entspannung, soweit dies bei unseren beschränkten Räumlichkeiten möglich ist. Über personelle Ressourcen breite ich einen großen Mantel des Schweigens. Wir sind nach wie vor Einzelkämpfer! Und zurecht stolz auf unsere Erfolge, alle 27 Kinder werden am Ende dieses Schuljahres lesen, schreiben und rechnen können, komme da, was da wolle. Wozu über Personalmangel jammern?
Es geht doch.
So verschieden die Kinder auch sein mögen, eines ist allen gemeinsam.
Sie lieben ihre Lehrerin, würden alles für sie tun. Eltern sind machtlos, wenn der Kleine sagt:
»Aber Frau Bär hat gesagt …«
Und ich bin machtlos, wenn sich beim Vorlesen ein bis zwei Kinder ganz selbstverständlich auf meinen Schoß setzen.
Egal mit welchen Unzulänglichkeiten sie noch zu kämpfen haben, sie sind bestrebt, alles richtig zu machen. (Eine Ausnahme bildet eine kleine, aber vielbeachtete Minderheit, die kreativ damit beschäftigt ist, alle anderen zu beeindrucken oder zu piesacken. Auch sie streben nach Anerkennung, haben jedoch bei der Wahl der Mittel in den falschen Topf gegriffen.)
Gerne machen sie mir Geschenke.
So kommt an einem trüben Oktobermorgen während der Stillarbeit Samantha zu mir. Öffnet ihre kleine feuchte Faust und präsentiert mir mit einem stolzen Lächeln ein etwas derangiertes Gummibärchen:
»Für dich!«
Mein Verstand fragt: Ist dies das Mädchen, das soeben so herzhaft geniest hat? Mein Gefühl rät: Du musst es nehmen, sie wäre sonst enttäuscht.
Die Leute im Dschungelcamp müssen viel ekligere Sachen essen! Mein Mund sagt:
»Vielen Dank, im Moment nicht!«
Außerdem darf ich keine Sekunde verlieren, denn soeben hat der blond-gelockte Devil seinen gut gespitzten Bleistift in den Oberarm seiner Sitznachbarin gerammt, die laut aufheult.
Ich entreiße ihm die Waffe, schocke ihn mit dem Wort ‚Bleivergiftung‘ und nun heult auch er.
Alec steht plötzlich vor mir und hüpft angestrengt von einem Bein auf das andere:
»Frau Bär, ich muss gaanz dringend auf Klo!«
»Na, dann lauf mal schnell«,
rufe ich ihm hinterher, denn er ist schon an der Tür. 20 Sekunden später steht er schon wieder vor mir. »Was ist denn los?«, will ich wissen.
Er ist den Tränen nahe: »Ich krieg die Hose nicht auf!« Also hocke ich mich vor ihn hin und nestle an dem hakenförmigen Verschluss seiner Jeans, was wirklich eine Herausforderung ist, wenn der Bauch schon ein wenig darüber hängt. Verknotete Schnürsenkel entfesseln oder eingeklemmte Reißverschlüsse öffnen ist eine leichte Übung dagegen.
Die Klassenzimmertür steht weit offen und natürlich kommt in diesem Moment der Hausmeister vorbei, um die reparierte Uhr zu bringen. »Ach, es ist ja schon 10 Uhr«, rufe ich fröhlich und klatsche in die Hände: »Frühstück, Kinder! «
Alecs Hose lässt sich jetzt problemlos nach unten schieben und ich hoffe, dass er nicht darüber stolpert, als er zum zweiten Mal hinausstürzt.
Vor allem hoffe ich, dass er es noch rechtzeitig schafft. In seinen Augen schwammen schon kleine Fischlein.
Und zu guter Letzt bin ich froh, dass ich eine Frau bin. Da kommt man vermutlich nicht so schnell in den Verdacht pädophil zu sein?
Es geht alles gut, doch ist es keineswegs ungewöhnlich, dass Erstklässlern ein solches Malheur passiert.
Schnelle und diskrete Hilfe ist dann gefragt.
Im Sportbeutel befindet sich meistens eine geeignete Ersatzhose. Ist die Not groß, hilft auch ein Blick auf die beachtliche Sammlung von Fundstücken, die sich vor dem Hausmeisterbüro auftürmt. Tatsächlich befinden sich dort neben Mützen, Jacken und Handschuhen auch einzelne Schuhe, Ohrringe, Zahnspangen und sogar Hosen in allen Größen.
(Wie bitte kann man eine Hose verlieren? Und wie fühlt es sich an, mit nur einem Schuh nach Hause zu laufen?)
Allerdings erinnere ich mich noch gut an einen Zweitklässler, der aus dem Sportunterricht ziemlich verzweifelt und mit kurzer Turnhose (es war Februar) ins Klassenzimmer stürmte. »Meine Hose ist weg, ich habe überall gesucht!«, schluchzte Kristof. »Aber das kann doch nicht sein!«, rief ich. Ich schaute in viele betroffene Gesichter, die Sportlehrerin zuckte ratlos mit den Schultern.
»Wir haben wirklich überall nachgesehen, sogar in den Toiletten und Duschen.«
In der großen Pause konnte ich das hosenlose Kind nicht nach draußen schicken, doch fiel mir die merkwürdige Gangart seines besten Freundes Benedikts auf. Als ich genauer hinsah, stellte ich fest, dass seine Jeans viel zu kurz war und sprach ihn darauf an. Erst jetzt wurde Benedikt bewusst, dass dies nicht seine Jeans war. Er hatte sich auch schon gewundert, dass sie plötzlich so eng geworden war. Das Rätsel der verschwundenen Hose schien gelöst. Der sehr viel kleinere Kristof konnte sie eindeutig als seine identifizieren. Aber wo befand sich dann Benedikts Hose?
Da ich ihn inzwischen gut kannte, wusste ich, dass er öfter ein bisschen unorganisiert war und Dinge an Orten platzierte, auf die kein Mensch kommt.
In seinem Sportbeutel wurden wir fündig. Außer seiner Sportbekleidung befanden sich dort: Ein halbgelutschter Lolli, der lang gesuchte Deckel seines inzwischen ausgetrockneten Klebestifts, ein rosarotes Haargummi und seine Jeans, natürlich auf links gestülpt. Es musste ziemlich viel Kraft gekostet haben, das alles in den kleinen Beutel zu stopfen!
Ziemlich erschöpft erreiche ich heute in der großen Pause die sichere Insel Lehrerzimmer. Mitleidige Blicke. Schulterklopfen. Die mantramäßigen Beteuerungen: Nach Weihnachten wird es besser.
Wenigstens hat heute keiner geko…
Apropos. Zwar sind wir auf den Notfall ‚spontanes Erbrechen‘ bestens vorbereitet. Im hinteren Teil des Klassenzimmers befindet sich eine lilafarbene Box mit allerlei hygienischen Artikeln, dorthin kann ich also in so einem Fall ganz gelassen gehen, streife mir ein Paar elegante hautfarbene Einweghandschuhe über und mit einer Schaufel Katzenstreu ist der Schaden dann schnell behoben.
Jeder, der schon einmal mit Kindern zu tun hatte ahnt, dass gar nichts schnell behoben sein wird und an eine baldige Wiederaufnahme des regulären Unterrichts nicht zu denken ist.
Denn mitten im Raum steht ein kleiner unglücklicher Menschenspross, dem es gerade sehr schlecht geht.
Ja, es gibt auch mitleidige Klassenkameraden.
Die Mehrheit der Umstehenden schreit jedoch ohne einen Hauch von Empathie entweder »Iih! « und hält sich die Nase zu oder findet die Situation äußerst komisch, auch Spott und Häme lassen sich hier und da vernehmen. Also muss ich Prioritäten setzen.
Erstens: den kleinen unglücklichen Menschen trösten, ihn aus dieser unwürdigen Lage befreien und ihm versichern, dass alles wieder gut wird.
Zweitens: beim Hinausgehen mit dem kranken Kind energische Anweisungen für eine sinnvolle Beschäftigung aller Zurückbleibenden zu geben, nicht ohne den drei Empathielosesten mit zusammengekniffenen Augen und einer furchterregend erhobenen Augenbraue wüste Drohungen auszusprechen, falls sie sich nicht benehmen.
Wenn ich Glück habe, treffe ich in den steinigen Fluren des Schulhauses jemanden, der mir helfen kann, z. B. den Hausmeister. Falls nicht, leihe ich mir im Nachbarzimmer eine zuverlässige, freundliche Viertklässlerin aus, die meinen Unglückswurm im Arztzimmer beaufsichtigt, während ich schnellen Schrittes das Lehrerzimmer aufsuche, um die Notfallnummern nach erreichbaren Angehörigen durchzuprobieren. Tja, und wenn das erfolgreich war, flitze ich zurück zu meinen Schutzbefohlenen, freue mich darüber, wie ruhig und fleißig sie arbeiten und sorge mit Latexhandschuhen und Katzenstreu für eine saubere und geruchsfreie Lernatmosphäre.
Aber wie gesagt, zum Glück hat das alles heute nicht stattgefunden.
Jemand klopft mir energisch auf den Rücken. Es ist Amy. Ich bin froh, dass sie von hinten kommt, die Klopfhöhe ihrer Patschhand ist auf der Vorderseite deutlich unangenehmer.
»Duhu, Frau Bär, weißt du wahas?« Ja, ich weiß genau, was auf solch eine Einleitung folgt.
Entweder: ‚Noch dreimal schlafen, dann habe ich Geburtstag‘ oder ‚Mein Hamster ist vorgestern gestorben‘.
Bevor ich noch ins Philosophieren darüber gerate, wie nahe doch Geburt und Tod beieinander liegen, sagt sie: »Morgen hat mein Meerschweinchen Geburtstag!«
»Herzlichen Glückwunsch«, ist alles, was mir spontan dazu einfällt. Smalltalk über Haustiere steht gerade nicht auf meinem Programm. Doch sage ich es nicht unfreundlich und Amy zieht strahlend von dannen. Es ist so einfach, Kinder glücklich zu machen. Da fällt mir doch wieder mein letzter Besuch beim ‘Chinesen‘ ein. Nach dem Essen, bei dem ich leider aufgrund meines begrenzten Magenvolumens nicht alle sieben Köstlichkeiten probieren konnte, entnahm ich seinem, mit bedeutungsvoller Miene überreichten, Glückskeks eine Botschaft, die sinngemäß lautete: Du bist auf der Welt, um andere Menschen glücklich zu machen.
Wie passend, dachte ich damals. Dafür hast du genau den richtigen Beruf. Und nahm mir fest vor, immer an diese keksummantelte Weisheit zu denken, vor allem in Situationen täglicher Bagatellkatastrophen, die absurder und irrwitziger nicht sein könnten.
Erstaunlich eigentlich, wie viele Ereignisse sich in so einem Klassenraum zeitgleich abspielen. Die geübte und erfahrene Lehrkraft hat natürlich alles im Blick, selbst wenn sie, die Tafel bekreidend, den Kindern ihren Rücken zuwendet. Bradley aus der zweiten Klasse zum Beispiel hat auch ohne Zigarettenkonsum bereits eine unverkennbar rauchig heisere Stimme, die trotzdem von keinem anderen Kind an Lautstärke übertroffen wird. Während ich also den Merksatz »Nach einem Punkt schreibe ich groß« zeitgeistgemäß in lateinischer oder verein-fachter Ausgangsschrift an die Tafel male, ermahne ich ihn nebenher und ohne mich umzudrehen: »Bradley!« Ich bemühe mich, es nicht so auszusprechen wie seine Eltern.
Als der Junge neu in die Klasse kam, stand er mit Mama, Papa und Rektor plötzlich vor der Tür. Dank meiner Flexibilität freute ich mich spontan über den Nachwuchs und fragte ihn freundlich nach seinem Namen. Mit der genuschelten Antwort konnte ich nicht so viel anfangen, doch die Mama half weiter: »Er heißt Brettle.«
Brettle?
Also: »Bradley!«, sage ich. »Setz dich an deinen Platz!« Jetzt erst wende ich mich wieder meinen Schülern zu und schaue in die ungläubigen Gesichter einiger Weniger, die bemerkt haben, dass Frau Bär auch im Hinterkopf Augen hat. Auch Brettle ist irritiert und geht zu seinem Tisch, von dem er sich, in der Annahme unbeobachtet zu sein, unerlaubt entfernt hatte.
Wieder in meiner ersten Klasse setzen die Kleinen ihre Arbeit an Stationen fort. Der Laut L (nicht El, sondern Ll gesprochen) wird dort begeistert und ausgiebig mit allen Sinnen erlernt. Alec schreibt ihn mit Hingabe in den Sand, der sich eigentlich in der flachen roten Schale befinden sollte. Es knirscht ein bisschen, als ich an ihm vorbeigehe.
Zum Glück bemerke ich noch rechtzeitig das Stück graubrauner Knete am Boden. Mein fragender Blick in die Runde ruft Devil auf den Plan. Schuldbewusst kratzt er die Knete mit den Fingernägeln weg. Nachdem er aus dem Vielfarbengemisch ein L geformt hatte, hatte er versucht, den Rest von seinem Platz aus in die dafür vorgesehene Dose zu werfen.
Emmi braucht Hilfe am Computer, irgendwie ist ihr Finger auf der Tastatur hängengeblieben, sodass sie sich bereits auf der Seite 40 des Dokumentes befindet. Die Seiten sind vollständig und tausendfach mit diesem Buchstaben bedeckt, und zwar ohne, dass sie jedes Mal die vorgeschriebene Leertaste bedient hatte.
Alles normal. Erstklassig, sozusagen!
Ich bin ein Hund!
Die Welt kommt ihr auf einmal so groß vor.
Riesige Bäume, das Gras so hoch. Ganz merkwürdige Farben. Doch sie kennt diesen Park.
Es ist warm, sie fängt an zu hecheln. Versucht, zu sprechen, doch entfährt ihr nur ein heiserer Laut. Es klingt wie: „Wuff.“
Sie will ihr Gesicht berühren und sieht eine kleine straßenköterblonde Pfote.
Als sie sich setzt, spürt sie ein Körperteil, das vorher noch nicht an dieser Stelle war. Also, Popo wieder hoch, Augen nach hinten.
Ich bin ein Hund!
Cleo ist fassungslos.
Wie kann das sein? Träumt sie vielleicht?
Vorsichtig bewegt sie sich in Richtung Teich. Eine Ente quakt sie böse an.
Das gekräuselte Wasser vertreibt alle Zweifel:
Cleo befindet sich im Körper eines kleinen zottigen Vierbeiners. Aber wie ist das möglich?
Cleo weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll.
Langsam, sehr langsam, stellt sich eine Erinnerung ein. Sie hatte einen Unfall. Krankenwagensirene. Mamas Stimme, überlaut, panisch: „Sie bewegt sich nicht mehr!“
Krankenhaus. War sie tot? Beginnt gerade ihr nächstes Leben? In einem Hund?
Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. Cleo dreht sich um. Sie erkennt das Krankenhausgebäude.
Vor zwei Jahren haben sie dort Oma besucht. Den Besuch wird sie nie vergessen. Diese vielen Schläuche und Geräte, die bedrückende Stimmung. Ihr Bruder und sie waren heilfroh, als sie wieder draußen waren.
Aber die Oma ist wieder gesund geworden. Dieser Lebenswille, haben alle gesagt, der liegt in der Familie.
Sie fragt sich, ob hier vielleicht nur ihr Geist unterwegs ist, während sie da drüben friedlich in einem Bett liegt.
Ich müsste irgendwie in das Krankenhaus hineinkommen, um meinen Körper zu finden, denkt Cleo.
Ihr ist klar, dass dies in ihrem jetzigen Zustand nicht leicht sein wird.
Sie müsste einfach blitzschnell und geschickt durch Türen und Flure sausen. –
Allerdings bringt sie nur ein paar hilflose Hopser zustande, als sie ihre vier Pfoten in Bewegung setzt.
Damit kann sie Plan A schon mal vergessen.
Cleo schnüffelt. Sie hat da einen Geruch in der Nase, das muss die Krankenhausküche sein. Die bereiten wohl das Mittagessen vor. Kartoffelbrei, Fleischklößchen und Gemüse. Unglaublich! Obwohl das Gebäude gut 100 Meter entfernt ist, kann sie es riechen, als stünde der Teller vor ihr.
Wieder bemüht sie sich, vorwärts zu kommen. Das kann doch nicht so schwer sein, auf vier Beinen zu laufen. Schließlich kann ja auch jedes Baby krabbeln!
„Schau mal, Mama!“, hört sie plötzlich die mitleidige Stimme eines Mädchens. „Der arme Hund dort!“
Die Kleine läuft an der Hand ihrer Mutter und deutet mit dem Zeigefinger auf das zottelige Tier, in dem nun Cleo steckt.
Diese fühlt sich in ihrer neuen Hundeehre gekränkt und versucht ein fröhliches Bellen. Gleichzeitig wedelt sie heftig mit diesem ungewohnten Körperteil am Po und springt in die Höhe.
Doch sie ist so beschäftigt mit Bellen und Wedeln, dass sie bei der Landung ihre Vorderbeine vergisst. Mit der Schnauze im Matsch endet dieses unwürdige Gehampel.
Die Ente lacht sie aus.
„Bitte, bitte, Mama“, ruft jetzt das Mädchen. „Können wir den Hund nicht mit nach Hause nehmen?“
„Um Gottes Willen!“ Die Mutter rümpft die Nase. „Der hat doch bestimmt Flöhe!“
Sofort fängt Cleos geliehenes Hundeohr zu jucken an. Sie muss sich sehr beherrschen, um sich nicht zu kratzen. Nach einigen Verhandlungen erlaubt die Frau jedoch der Tochter, dem Hund die Hälfte ihres Brötchens abzugeben.
Cleo wedelt wieder eifrig mit dem Schwanz, um ihre Begeisterung zu zeigen. Jetzt merkt sie erst, wie hungrig und schwach sie ist. Die beiden Wohl-
täter entfernen sich zufrieden, als Cleo nach dem Brötchen schnappt.
Gar nicht so einfach, ohne Hände zu essen. Warum mochte sie eigentlich nie Leberwurst? Die schmeckt doch köstlich!
So gestärkt, fasst sie wieder neuen Mut.
Sie überlegt. Zum Glück hat sie den Verstand eines Menschen. Sicherheitshalber sagt sie im Geiste das Einmaleins mit der Sieben auf. Funktioniert noch. Für diese Reihe hatte sie am längsten lernen müssen.
Cleo heißt eigentlich Claudine. Ihr Vater hatte ihr einmal erzählt, dass sie sich selbst als Kleinkind so genannt hatte und dabei war es dann geblieben. Cleo hatte gelacht und gemeint: „Zum Glück habe ich damals nicht Clo gesagt!“
Dabei fällt ihr ein, dass sie als Hund auch dieses Thema überdenken muss. Ganz wichtig in dieser Frage ist wohl, ob sie in einem männlichen oder weiblichen Tier steckt. Wie peinlich, wenn sie beim Pinkeln umfällt, nur, weil sie es nicht schafft, auf drei Beinen zu stehen.
Doch beim nächsten Baum hockt sie sich einfach hin und denkt erleichtert: Ich bin ein Hundemädchen!
Nun probiert sie nach und nach alle neu erworbenen Körperteile aus. Hebt einzelne Beine, probt den Zweibeinstand in allen Variationen, springt hoch und dreht sich im Kreis. Hundeballett!, denkt sie und muss laut lachen: „Wau, wau, wau!“
Erschrocken flattert die Ente auf und flüchtet unter lautem Protest vor diesem unheimlichen Tier in die Mitte des Teiches.
Cleo streckt sich und gähnt. Nach Hause, sie möchte jetzt unbedingt nach Hause! Entschlossen trabt sie los. Sie weiß, in welche Richtung sie laufen muss.
...
Schnauzbart und Pappnase
Cleo hat alles gegeben, um von ihrer Familie beachtet und verstanden zu werden.
Doch dann hatte sie diesen Typen entdeckt. Er verschwand gerade in dem Café mit dem goldenen C über dem Eingang.
Der war es gewesen! Sie hatte noch ganz deutlich sein Gesicht vor Augen, als er die Autotür plötzlich öffnete. Ein Glatzkopf wie eine Pampelmuse, mit großer Brille und einem grauen Schnauzbart.
Sie konnte nicht mehr ausweichen und blieb mit dem rechten Fuß an der Tür hängen. In diesem Moment hatten sich ihre Blicke getroffen.
Danach stürzte sie in ein tiefes, dunkles Loch.
Sicher war es keine Absicht gewesen. Der Mann hatte einfach nicht aufgepasst, nicht zurückgeschaut.
Aber warum hatte er sich nicht gemeldet, sich nicht entschuldigt?
Ihre Familie wusste noch nicht einmal, dass jemand an dem Unfall beteiligt gewesen war!
Sie sah sich nicht mehr nach ihnen um und folgte dem Typen bis zum Eingang des Cafés.
Die Tür öffnete sich und ein wunderbarer Geruch stieg ihr in die Nase. Torte, Gebäck, Eiscreme, Kaffee, Kakao, Käsetoast und Hotdog. ‚Hunger!‘, war alles, was sie noch denken konnte.
Kurz entschlossen flitzte sie um das Haus herum, zum Hintereingang des Gebäudes.
Hier roch es leider weniger gut. Abfalleimer, leere Dosen und Plastikgefäße, in denen sich die unterschiedlichsten Lebensmittel befunden hatten und aus den geöffneten Klofenstern stank es. Nase zuhalten? Schwierig als Hund.
Aber lagen dort nicht noch Wurstreste auf dem Pappteller? Besser als nichts. Sie schnappte nach den Stücken und tappte dann vorsichtig in den dunklen Flur des Hauses hinein. Immer der Nase nach. War ganz einfach als Hund!
Durch eine Schwingtür lief ein Kellner schnellen Schrittes in die Küche. Im letzten Moment duckte Cleo sich hinter ein Fass.
Und dann kam er: Der Glatzkopf aus dem Lieferwagen!
Cleo schlug das Herz bis zum Hals, als sie um die Ecke linste und sein finsteres Gesicht sah. Der Kellner tauchte wieder auf, schaute sich nach allen Seiten um und steckte ihm ein kleines Päckchen zu.
„Sieh zu, dass du morgen hier verschwunden bist“, zischte er dabei.
„Sobald du alles geliefert hast, du Pappnase“, zischte der Schnauzbart zurück.
Cleo merkte sich jedes Detail, Aussehen, Stimme, vor allem die Gerüche. Diese beiden zwielichtigen Gestalten würde sie überall wiederfinden. Und auch das Päckchen verströmte einen sonderbar süßlichen Geruch!
Cleos Nase juckte plötzlich entsetzlich. Und während sie noch überlegte, ob Hunde niesen können, entfuhr ihr schon ein heftiges “Tsi“. Schnell verschwand sie hinter ihrer Tonne und hoffte, niemand hätte sie gehört.
Doch plötzlich war es völlig finster. Jemand hatte die Hintertür geschlossen und kam auf sie zu. Pappnase! Cleo erkannte ihn am Geruch.
Der Mann kam immer näher, sie saß in der Falle. Er knipste das Licht an. Cleo sah erschrocken, dass er ein langes Messer in der Hand hielt.
Doch als der Kellner sie entdeckte, lachte er laut auf. Was er sagte, war allerdings weniger lustig: „Ein zotteliges Plüschtier mit Schnupfen! Sei froh, dass wir hier nicht in China sind, da essen sie so was!“
Drohend baute er sich vor ihr auf. Cleo hatte keine Wahl, sie musste die Flucht nach vorn antreten. Mit einem wütenden Knurren sprang sie an dem Kellner vorbei, drehte sich um und schnappte nach seinem Hinterteil, sodass die schwarze Hose nach unten rutschte und er bei dem Versuch, sich umzudrehen, ins Stolpern geriet. Er fluchte laut und ungehörig und Cleo wich zurück. Der Glatzkopf war anscheinend wieder verschwunden.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Café und eine blondgelockte Kollegin rief: „Anton, wo bleibt der Toast Hawaii?“
‚Hätte ich auch gern‘, dachte Cleo und preschte wieselflink an der Bedienung vorbei in das Café. Als sie deren Rock streifte, zuckte sie zusammen: „Anton, da ist eine Ratte!“, kreischte sie entsetzt.
Cleo musste grinsen und stellte sich vor, wie das bei diesem Hund, in dem sie gerade steckte, wohl aussah. Sie schaute sich im Lokal um.
Zu ihrer Überraschung war sie hier nicht der einzige Hund. Unter einem Tisch, an dem sich drei ältere Damen lebhaft unterhielten, lag ein kleiner, schwarzer Pudel. Zur Begrüßung wedelte er freundlich mit seinem Schwanzstummel und Cleo legte sich unauffällig neben ihn.
Doch ausgerechnet an diesem Tisch war der Toast bestellt worden. Cleo blieb fast das Hundeherz stehen, als dieser kriminelle Kellner kam und sie seine glänzenden Lackschuhspitzen unter der langen Tischdecke erkannte.
„Einmal Toast Hawaii“, schnarrte seine unsympathische Stimme.
„Na, das wurde ja auch Zeit“, erwiderte des Pudels Frauchen. „Wir wollen schließlich zum Abendessen wieder daheim sein“, witzelte ihre Nachbarin. Es folgte meckerndes Gelächter.
Eine Zeitlang wagte Cleo nicht, sich zu bewegen, während der alte Pudel neugierig an ihr schnüffelte. Da erschien plötzlich die Hand der Dame.
Cleo leckte sich das Maul: Schinken! Mehrmals wurde diese Köstlichkeit hinuntergereicht und das gutmütige Tier neben ihr teilte hundebrüderlich mit ihr.
Fieberhaft überlegte Cleo, wie sie möglichst unbemerkt dieses Café verlassen könnte.
Als sie einmal unter der Spitzendecke hervorlugte, sah sie den Kellner, der sich suchend umsah. Also vermutete er sie wohl noch im Lokal.
Sofort zog sie den Kopf zurück. An der anderen Seite des Tisches entdeckte sie eine große Topfpflanze. Stumm verabschiedete sie sich von dem netten Pudel und versteckte sich hinter dem Blumentopf. Von hier aus hatte sie eine gute Sicht, sowohl auf den Ausgang, als auch zur Theke, hinter der die Bedienungen hin und her eilten.
Die drei Damen erhoben sich nun von ihren Plätzen und schlenderten, immer noch im kichernden Gespräch, durch das Café. „ … und erst das Rosarote! Köstlich, sage ich euch! Und das Preis-Leistung-Verhältnis ist auch tip top!“
Eilfertig lief Pappnase Anton voraus und öffnete mit einer leichten Verbeugung die Tür.
Cleo zögerte keine Sekunde, flitzte los wie ein Komet und erreichte die Gruppe gerade rechtzeitig, um gemeinsam mit ihr das Lokal zu verlassen.
Der Kellner fluchte, als er sie erkannte und hätte ihr beinahe noch den Schwanz eingeklemmt. Danach riss er die Tür wieder auf und schrie: „Dann hau‘ doch ab, du Mistvieh!“
Empört flogen drei behütete Damenköpfe herum.
„Hast du das gehört, Friedchen? Die haben uns aber das letzte Mal gesehen, das schwöre ich dir. So eine Unverschämtheit!“
Cleo lachte. Dann warf sie einen nachdenklichen Blick auf den Lieferwagen und machte sich langsam auf den Heimweg. Sie wusste, dass sie noch Zeit hatte, bis ihre Familie wieder zurückkehren würde und trottete in Richtung Schinkelgasse (oder hieß die Schinkengasse?), wo der Metzger wohnte.
Tausend Gedanken purzelten durch ihren Kopf.
Wie sollte sie als kleiner Straßenköter den Glatzkopf überführen? In diesem Café konnte sie sich jedenfalls nicht mehr sehen lassen, der Kellner würde sie ermorden.
Sie seufzte und überdachte ihre Lage.
Würde sie überhaupt jemals wieder in ihren Menschenkörper zurückkehren? Wieder eine schmale Mädchenfigur, seidige braune Haare und grün-graue Augen haben? Und in ganzen Sätzen reden können? Wie glücklich wäre sie. Sie würde sich auch klaglos mit den Sommersprossen auf der Nase abfinden und dem schiefgewachsenen Zeh.
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